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Schutz für Whistleblower – Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie verstrichen. Und nun?

Schutz für Whistleblower – Umsetzungsfrist der „EU-Richtlinie 2019/1937/EU zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ in der Bundesrepublik verstrichen. Und nun?

Der Bundesgesetzgeber hat es (wieder einmal) nicht geschafft, eine EU-Richtlinie innerhalb einer 2-jährigen Frist in nationales Recht umzusetzen. Worum geht es und was hat das für Konsequenzen?

Edward Snowden, Julian Assange, Chelsea Manning – Für die einen sind sie Helden, für die anderen Verräter. Während bei Dante Alighieri in der „Göttlichen Komödie“ Verräter im neunten und letzten Kreis der Hölle bis zum Hals im See Cocytus festgefroren ihr ewiges Dasein fristen müssen, hat sich die EU ca. 700 Jahre später für den Schutz von Whistleblower (in der deutschen „Fachsprache“ etwas gestelzt „Hinweisgeber“) entschieden.

Whistleblower, die Missstände aufdecken, sollen vor Repressalien / disziplinarischen Maßnahmen der Organisation geschützt werden, die sich selbst nicht regelgerecht verhält bzw. der das rechtswidrige Handeln ihrer Angehörigen zuzurechnen ist. Das Volk liebt bekanntlich den Verrat, aber niemals den Verräter – in Abwandlung des auf Gaius Octavius (später Augustus, 1. römischer Kaiser) zurückgehenden Zitates hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Whistleblower eben keine „Nestbeschmutzer“ sind, sondern Schutz verdienen. Nach der Richtlinie 2019/1937/EU sollen neben (ehemaligen) Beschäftigten auch Bewerber, Unterstützer des Hinweisgebers oder Journalisten vor „Entlassungen, Degradierungen und sonstigen Diskriminierungen“ geschützt werden. Der Schutz bezieht sich an sich „nur“ auf das Melden von Verstößen mit Bezug auf EU-Recht (Steuerdelikte, Geldwäsche, Delikte im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen, Produkt- und Verkehrssicherheit, Umweltschutz, öffentlicher Gesundheit sowie Verbraucher- und Datenschutz). Um den Umgang zu erleichtern, enthält die Richtlinie eine Liste mit allen erfassten Rechtsinstrumenten. Allerdings kann der Anwendungsbereich in nationalen Gesetzen erweitert werden.

Die Whistleblower- Richtlinie ist am 16.12.2019 in Kraft getreten. Wie bei EU-Richtlinien üblich, gewährt sie den Mitgliedstaaten eine Frist von 2 Jahren, die jeweiligen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Funktioniert hat das – wir erinnern uns – bei der DS-GVO. Hier hatte es der Bundesgesetzgeber tatsächlich geschafft, das BDSG u.a. Gesetze noch vor Ablauf der Übergangsfrist am 25.05.20219 zu ändern. Auch für die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie sah es zunächst so aus, als würde der bundesdeutsche Gesetzgeber fristgerecht tätig werden. Im Dezember 2020 legte das zuständige Ministerium den „Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes – HinSchG“ vor, der aber im Frühjahr 2021 in der Abstimmung der Ministerien scheiterte und nicht über diese Stufe des Gesetzgebungsverfahrens hinauskam. Der Entwurf ging – von der Öffnungsklausel Gebrauch machend - über den Anwendungsbereich der Richtlinie hinaus. Erfasst werden sollten sämtliche Rechtsverstöße, insbes. gegen alle Straf- und Bußgeldvorschriften. (Der Cum-Ex- oder Wirecard-Skandal – also klassischer Betrug – würden von der EU-Richtlinie wohl nicht erfasst.).

Und was gilt seit dem 17.12.2021? Ob und inwieweit eine EU-Richtlinie unmittelbar geltendes Recht ist, darüber wird immer noch gestritten. Wir gehen davon aus, dass sich Betroffene, also Whistleblower, auf den Schutz der Richtlinie berufen können. Wir empfehlen daher, im Vorgriff auf die zu erwartende gesetzliche Neuregelung entsprechende unternehmerische Strukturen zu schaffen.

Die Regierungskoalition hat sich im Koalitionsvertrag (S. 111) festgelegt: "Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote."

Es wird also eine gesetzliche Regelung geben. Was ist für Unternehmen und Öffentliche Stellen zu tun? Die Richtlinie schreibt für Unternehmen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern und alle juristischen Personen der öffentlichen Hand eine Pflicht zur Einrichtung von Meldewegen („Whistleblower-Hotline“) vor. Die internen Meldewege müssen so ausgestaltet sein, dass die Vertraulichkeit der Identität der Hinweisgeber gewahrt ist. Innerhalb von 7 Tagen muss eine Eingangsbestätigung und nach spätestens 3 Monaten eine Rückmeldung über ergriffene Maßnahmen erfolgen. Es müssen leicht zugängliche Informationen über die Nutzung interner wie externer Hinweisgeber-Systeme vorhanden sein und unter Wahrung der Vertraulichkeit alle eingehenden Hinweise dokumentieren.

Damit der Schutz der Whistleblower effektiv ist, sieht die Richtlinie eine Beweislastumkehr vor: Es wird (widerleglich) vermutet, dass etwaige Sanktionen im Zusammenhang mit den Hinweisen, wenn der Hinweisgeber die Kausalität zwischen dem Hinweis uns der Maßnahme nur behauptet. An die Widerlegung der Vermutung sind hohe Anforderungen gestellt. Faktisch wird dies einer Erweiterung des allgemeinen Kündigungsschutzes zukommen.

Bei der Einführung von Hinweisgeberschutzsystemen sind – wie bisher auch – Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates oder der Personalvertretungen zu beachten.

Wir begleiten Sie bei der Einführung und Umsetzung derartiger Systeme. Sprechen Sie uns an.